Der Übermut von Texträumen

fünfdimensionaler LTI-cubus, Plastik, Frank Richter
5dimensionaler LTI-Hyperwürfel, Frank Richter

  Ein vierdimensionaler Würfel besteht aus 32 Kanten, die in 16 Eckpunkten jeweils in vier rechten Winkeln zusammentreffen. Einen solchen Körper kann man nicht als eine reale Gegebenheit wahrnehmen, sondern sich nur als ein mathematisches Konstrukt vorstellen. Der Konzeptkünstler Frank Richter geht jedoch davon aus, dass unsere Alltagsvorstellungen zunehmend von hyperdimensionalen Räumen bestimmt werden. Handelt es sich für ihn doch bei diesem Phänomen um eine Gegebenheit, die unsere Orientierung in einer globalen Medienwelt zunehmend prägt.
  Demgegenüber steht aber die Unfassbarkeit von Räumen, die über die Dimensionalität unseres Körpers hinausgehen. Denn es gibt den Hyperraum zunächst einmal nur als eine schematische Fortschreibung des dreidimensionalen Koordinatensystems. Diese Progression wird in frühen Arbeiten bei Frank Richter mit Zeichenrelationen konkretisiert. Mit seiner LTI-Sprache, der lingua trium insignium, die sich aus einfachen Elementen der Wahrnehmung (einem L als rechten Winkel, einem T als Lot und dem I als Streckenmass) aufbaut, wird die Eindimensionalität von Satzstrukturen aufgebrochen. D.h. die gewohnte Linearität eines Textflusses erweitert sich wie bei einem Rhizom durch alternierende Verzweigungen zu mehrdimensionalen Text-Räumen. Wahrnehmbar sind solche Konstellationen bei Frank Richter in Grafiken und Plastiken als Hyperwürfel, die sich -analog dem Schattenriss eines dreidimensionalen Körpers- als räumliche Projektionen darstellen.
  In seinen am Computer entwickelten Kompositionen steckt ein Übermut, der die Wahrnehmung herausfordert und gleichzeitig überfordert. Multiple Verknüpfungen mit bis zu fünf Freiheitsgraden generieren labyrinthische Texturen. Ein Betrachter, der solche Komplexitäten nicht mehr im Detail nachvollziehen kann, wird unweigerlich dazu angeregt, über das Verhältnis von Vorstellungs- vermögen, Abstraktion und sinnlicher Wahrnehmung nachzudenken.

Irritationen unterhalb der Wahrnehmungsschwelle

O.T., 2006, installation, wooden boards, wooden panels, color, 13 x 12 x 3, 8 m, Galerie im Taxispalais, Innsbruck, Photo: Rainer Iglar
O.T., 2006, Installation, wooden boards, wooden panels, color, 13 x 12 x 3, 8 m, Galerie im Taxispalais, Innsbruck, Photo: Rainer Iglar

Mit dem cartesianischen Koordinatensystem entwickelt die Konzept- künstlerin Esther Stocker in ihren Arbeiten räumliche Situationen, wie sie vor allem von Computersimulationen bekannt sind. Mit einer einfachen und strengen Quaderform werden Innenräume struk- turiert, wobei es auch zu Brüchen und irregulären Verschiebungen kommt. Im Grunde handelt es sich dabei immer um eine einfache und strenge Gestaltung von räumlichen Situationen. Diese Stringenz wird noch durch die Reduktion auf die Farben schwarz, grau und weiss unterstrichen. Der Blick des Betrachters kann sich nirgendwo richtig festhalten und gerät, wie man es bei Werken der Op-Art kennt, manchmal in Schwingungen.
    Esther Stocker will in ihren Bildern und Rauminstallationen den Wahrnehmungsprozess als einen dynamischen Akt vorführen, bei dem die Grenze zwischen dem Sehen und dem Denken nicht genau festlegbar - und auch nicht genau beschreibbar ist. Ihre einfachen und zugleich komplexen Kompositionen sollen überraschen und zu einer Schwindel erregenden Aufmerksamkeit für das nicht eindeutig Bestimmbare führen. Da aber manche eingebauten Irritationen unterhalb der Wahrnehmungsschwelle liegen, muss sich der Betrachter in ihre Arbeiten hineinsehen. Erst dann wird deutlich, dass er Formen sieht, die eigentlich nicht vorhanden sind, da das Gehirn Unregelmässig- keiten und Störungen ausgleicht.
    Die Arbeiten der Künstlerin, die bereits in Österreich, Italien, Deutschland und den USA ausgestellt wurden, sind Versuchs- anordnungen. Minimale Eingriffe oder Transformierungen innerhalb einer regelmäßigen Struktur erzeugen optische Brüche und testen die Konditionierung des Betrachters.

Ein radikaler Rationalist

Ausstellung Manfred Mohr in der Galerie Mueller
Ausstellung Manfred Mohr in der Galerie Mueller

  Manfred Mohr ist ein Pionier der Digitalen Kunst. Beeinflusst von den Schriften Max Benses entscheidet er sich nach einer kurzen Phase als Aktionsmaler und Jazzmusiker als einer der ersten für eine Kunst, die nur noch an Logik und Präzision orientiert ist. In den 60er Jahren entstehen Bildtafeln, die Symbole ähnlich denen aus elektronischen Schaltplänen variieren, deren Auswahl und Verknüpfung aber noch unter rein subjektiven Gesichtspunkten erfolgt.
  In dieser Zeit entdeckt Manfred Mohr auch für sich den Hypercubus und damit die Möglichkeiten einer generativen Kunst. Über mehrere Jahrzehnte untersucht er die Interaktionen von Linien, die einer räumlichen Logik von mehr als drei Freiheitsgraden folgen. Dafür werden Computerprogramme eingesetzt, die wert- und emotionsfrei ungeahnte Konstellationen anbieten. Auf diesem Wege kommt Mohr zu einem grossen Fundus von Bildkompositionen, die belegen, dass selbst einfache Regeln und wenige Parameter komplexe Prozesse hervorbringen und unterhalten können. Es handelt sich dabei um keine variierten Anordnungen oder Permutationen, sondern um Interaktion von hyperdimensionalen Tiefenperspektiven, die beispielsweise bei einer Werkserie zum sechsdimensionalen Würfel 23.040 potentielle Diagonalwege aufzeigen. Von Manfred Mohr werden solche Konstellationen exemplarisch auf quadratischen Bildtafeln mit schwarzen und grauen Linien in strenger Geradlinigkeit festgehalten. Die eigentliche Würfelarchitektur ist nur noch als Ausschnitt zu sehen. So wird die Imagination des Betrachters von dem mathematischen Konstruktionsprinzip Hyperwürfel zu rein visuellen Strukturen, einer blossen Abstraktion von Rechen- prozessen hingeführt.
  Obwohl in ihrer Komplexität schwer durchschaubar, sind uns solche Visualisierungen nicht mehr fremd. In einer Zeit, da die Orientierung mehr durch eine oszillierende Medienwelt und durch bizarre Datenstrukturen bestimmt wird, gehen ästhetische Erfahrungen über die drei Dimensionen der körperlichen Erfahrungswelt längst hinaus. Mohrs Bilderwelten stellen insofern ästhetische Paraphrasen zum Überbau einer global vernetzten Zivilisation dar. Die gezeigten Potentiale sind inzwischen zu einem Labyrinth geworden, in dem sich eine selbst organisierende Kreativität immer wieder neu simulieren kann.
  Als radikaler Rationalist ist Manfred Mohr über 40 Jahre seiner Suche nach einem Hyperprogramm der Wahrnehmung treu geblieben. Auch in seinen neueren farbigen Würfelprojektionen insistiert er auf eine "rationale Herstellung von Kunst" und damit auch auf eine Ästhetisierung von Informationsstrukturen.

Irritationen unterhalb der Wahrnehmungsschwelle

O.T., 2006, installation, wooden boards, wooden panels, color, 13 x 12 x 3, 8 m, Galerie im Taxispalais, Innsbruck, Photo: Rainer Iglar
O.T., 2006, Installation, wooden boards, wooden panels, color, 13 x 12 x 3, 8 m, Galerie im Taxispalais, Innsbruck, Photo: Rainer Iglar

Mit dem cartesianischen Koordinatensystem entwickelt die Konzept- künstlerin Esther Stocker in ihren Arbeiten räumliche Situationen, wie sie vor allem von Computersimulationen bekannt sind. Mit einer einfachen und strengen Quaderform werden Innenräume struk- turiert, wobei es auch zu Brüchen und irregulären Verschiebungen kommt. Im Grunde handelt es sich dabei immer um eine einfache und strenge Gestaltung von räumlichen Situationen. Diese Stringenz wird noch durch die Reduktion auf die Farben schwarz, grau und weiss unterstrichen. Der Blick des Betrachters kann sich nirgendwo richtig festhalten und gerät, wie man es bei Werken der Op-Art kennt, manchmal in Schwingungen.
    Esther Stocker will in ihren Bildern und Rauminstallationen den Wahrnehmungsprozess als einen dynamischen Akt vorführen, bei dem die Grenze zwischen dem Sehen und dem Denken nicht genau festlegbar - und auch nicht genau beschreibbar ist. Ihre einfachen und zugleich komplexen Kompositionen sollen überraschen und zu einer Schwindel erregenden Aufmerksamkeit für das nicht eindeutig Bestimmbare führen. Da aber manche eingebauten Irritationen unterhalb der Wahrnehmungsschwelle liegen, muss sich der Betrachter in ihre Arbeiten hineinsehen. Erst dann wird deutlich, dass er Formen sieht, die eigentlich nicht vorhanden sind, da das Gehirn Unregelmässig- keiten und Störungen ausgleicht.
    Die Arbeiten der Künstlerin, die bereits in Österreich, Italien, Deutschland und den USA ausgestellt wurden, sind Versuchs- anordnungen. Minimale Eingriffe oder Transformierungen innerhalb einer regelmäßigen Struktur erzeugen optische Brüche und testen die Konditionierung des Betrachters.

Nodes - Seven Artists at seven Exhibition Places

Sieben KünstlerInnen, sieben Museen – sie bilden die Knotenpunkte der gleichnamigen Ausstellung, die vom 16. September bis 11. November in Nordrhein-Westfalen gezeigt wird. Das Projekt des Kultursekretariats NRW Gütersloh, das von dem Leipziger Kunsthistoriker Matthias Weiß kuratiert wird, lässt es aber mit der Metapher des Netzes nicht bewenden, sondern zeigt sieben internationale Positionen, die sich im engsten wie weitesten Sinn mit dem Internet auseinandersetzen und dieses als Material und Medium nutzen.
Die Arbeiten verbindet eine kritische Auseinandersetzung mit Kernthemen der Gegenwart. Berührt wird die Rolle des Museums und sein Depot als öffentliches Eigentum, also als Gemeingut, in der Arbeit Cornelia Sollfranks, die im Märkischen Museum Witten der problematischen Frage nach dem „geistigen Eigentum“, der Kommerzialisierung von Bildern und ihren Verwertungsrechten in Zeiten des Internets nachgeht. Sascha Büttner erforscht Produktionsbedingungen für KünstlerInnen im Rahmen seiner Installation „Trashpavilion“ in der Stiftung Künstlerdorf Schöppingen, in welcher der Besucher eigene Forschungen anstellen kann. Auf subtile Weise koppelt Carlo Zanni seine Erfahrungen als Künstler, der in Italien und den USA zuhause ist, an Erlebnisse von Migration und verdichtet sie zu einer poetischen audiovisuellen Installation im Kunstmuseum Ahlen.
Ilona Johanna Plattner untersucht mittels Interventionen und Performances im Städtischen Museum Gladbeck, Schloss Wittringen, das Spannungsfeld aus realer (Stadt-)Geschichte und der Repräsentation ihres künstlerischen alter egos, der „Mystikerin“ in Form dreier Akte und thematisiert damit die Rolle des Fiktionalen auch in Bezug auf die Möglichkeiten des Internets. Das Museum für Gegenwartskunst Siegen wird zum Gastgeber für die 13jährige Künstlerin Mouchette, einer nur im Internet existierenden Person. Ihre Auseinandersetzung mit dem Selbstmord von Kindern basiert auf den Äußerungen realer Menschen, welche Mouchettes Webseite als Kommunikationsplattform nutzen. Mittels kleiner Portionen künstlicher Intelligenz formieren sich kleine synaptische Motoren zum „UNNA UNIT“ von Jens Brand. Dieses Netz wird als Plastik wahrnehmbar und reagiert auf seine Umwelt auf verschiedene Weisen: mal erstarrt es, mal bildet es Muster, mal erinnert es sich an vergangene Zustände. Richard Kriesche schließlich sammelt Datenströme aus Google und Börse und spiegelt seine Fischzüge auf acht Projektionen im Skulpturenmuseum Glaskasten in Marl. Er kritisiert damit den tradierten Kunstbegriff und negiert dessen übersteigerte Objekthaftigkeit, die sich in den Auktionen von Werken zeitgenössischer Kunst anhand unvorstellbarer Preise spiegelt.
Alle Positionen belegen, dass Kunst mit dem Internet nicht heißen muss, vor langweilenden Terminals zu sitzen. Netzkunst – so ein Anliegen der Ausstellung „Knotenpunkte“ – ist Teil der zeitgenössischen Kunst und bedient nicht nur den Festivalzirkus von der transmediale bis zur ars electronica.

Die sieben KünstlerInnen und ihre Ausstellungsorte:

Sascha Büttner, Stiftung Künstlerdorf Schöppingen
Jens Brand, Zentrum für Internationale Lichtkunst Unna
Richard Kriesche, Skulpturenmuseum Glaskasten Marl
Carlo Zanni, Kunstmuseum Ahlen
Ilona J. Plattner, Museum der Stadt Gladbeck
Cornelia Sollfrank, Märkisches Museum Witten
Mouchette, Museum für Gegenwartskunst Siegen

PLAZMA - Junge Kunst aus Serbien und dem Kosovo


Im Griechischen bedeutet Plasma das Geformte, das Formbare und das Gebilde. In der Physik wird Plasma als Materie im 4. Aggregatzustand verstanden. Außerdem werden Kekse aus Jugoslawien, die für die Ernährung von Kindern empfohlen wurden und auch heute noch beleibt sind, Plazma genannt.
Eine Ausstellung mit dem Titel "PLAZMA" orientiert sich an der Fragestellung, wie die jungen Kunstszenen aus der Region Serbiens in jeweils verschiedener Weise erfahrenen Ereignisse und politischen Entwicklungen verarbeiten. Für sie stellen diese Ereignisse und Entwicklungen Kindheitserlebnisse dar. Anhand dieses verbindenden Elements der positiven Kindheitserinnerung an die Kekse wird die Auseinandersetzung der Künstler mit ihrer Kindheit anregt und zugleich Kultur als etwas Formbares gezeigt.
Künstler sind Mediatoren zwischen den Kulturen, durch ihre Faehigkeit zu bilden. Fuer Kuenstler beider Regionen stellt die Beruecksichtigung ihrer kulturellen Differenz eine Vorraussetzung für gemeinsame Projekte dar.

Eroeffnung: 22. September 2007, 16 Uhr (23. 09.- 31. 10. 2007)

Ausstellungsort: Burghof, Burggraefenroederstr. 2, 61184 Karben

Künstler und Künstlerinnen: Ana Adamovic, Jakup Ferri, Flaka Haliti, Jetmir Idrizi, Natasha Kokic, Dren Maliqi, Alban Muja, Kader Muzaqi, Milica Ruzicic, Manuel Schmalstieg, Tomislav Stanko Vukic, Lulzim Zeqiri

Liaision von Abstraktion und Figuration


David Schnell, Acryl auf Leinwand, 2005
David Schnell, Acryl auf Leinwand, 2005, Galerie Eigen + Art

David Schnell gehört zu den Protagonisten der viel gelobten, aber inzwischen auch oft gescholtenen "Neuen Leipziger Schule". Was ihn auszeichnet, ist sein experimenteller Umgang mit dem Medium Malerei. Jedes Sujet gerät bei ihm in Bewegung oder sogar zur Implosion. Egal ob es sich um Landschaftsmotive, surrealistische Cyberräume oder blosse Computerscreens handelt, es werden immer mehrere Fluchtpunkte und Bildebenen miteinander verschachtelt. Obwohl David Schnell an der Zentralperspektive festhält und mit ihr für die Interpretation des Bildes eine Blickrichtung vorgibt, wird die Bildfläche architektonisch aufgelöst. Seine Bilder geraten während der Betrachtung in Bewegung, so dass an eine fest gefügte Ordnung von Raum und Zeit nicht mehr zu denken ist. Diese Wirkung wird vor allem durch das Stakkato von konstruktivistischen Übermalungen, durch gegensätzliche Sujets und nicht zuletzt durch malerisches Handwerk erreicht.
    Im Gegensatz zum surrealen Verklärer Neo Rauch sucht Schnell nach einer zeitgenössischen Form der Darstellung von Lebens- räumen auf der Fläche. Wenn bei ihm Abstraktion und nüchterne Illusionsmalerei eine Liaison eingehen, wird deutlich, dass der Paradigmenwechsel einer digitale Kultur nicht ohne analoge Tradition zu haben ist. Oder dass der überzeugende gestische Pinselstrich einer heute wieder heraufbeschworenen Bildmalerei ohne die Ästhetik elektronischer Medien ins Leere läuft.

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