Der Übermut von Texträumen
5dimensionaler LTI-Hyperwürfel, Frank Richter
Ein vierdimensionaler Würfel besteht aus 32 Kanten, die in 16 Eckpunkten jeweils in vier rechten Winkeln zusammentreffen. Einen solchen Körper kann man nicht als eine reale Gegebenheit wahrnehmen, sondern sich nur als ein mathematisches Konstrukt vorstellen. Der Konzeptkünstler Frank Richter geht jedoch davon aus, dass unsere Alltagsvorstellungen zunehmend von hyperdimensionalen Räumen bestimmt werden. Handelt es sich für ihn doch bei diesem Phänomen um eine Gegebenheit, die unsere Orientierung in einer globalen Medienwelt zunehmend prägt.
Demgegenüber steht aber die Unfassbarkeit von Räumen, die über die Dimensionalität unseres Körpers hinausgehen. Denn es gibt den Hyperraum zunächst einmal nur als eine schematische Fortschreibung des dreidimensionalen Koordinatensystems. Diese Progression wird in frühen Arbeiten bei Frank Richter mit Zeichenrelationen konkretisiert. Mit seiner LTI-Sprache, der lingua trium insignium, die sich aus einfachen Elementen der Wahrnehmung (einem L als rechten Winkel, einem T als Lot und dem I als Streckenmass) aufbaut, wird die Eindimensionalität von Satzstrukturen aufgebrochen. D.h. die gewohnte Linearität eines Textflusses erweitert sich wie bei einem Rhizom durch alternierende Verzweigungen zu mehrdimensionalen Text-Räumen. Wahrnehmbar sind solche Konstellationen bei Frank Richter in Grafiken und Plastiken als Hyperwürfel, die sich -analog dem Schattenriss eines dreidimensionalen Körpers- als räumliche Projektionen darstellen.
In seinen am Computer entwickelten Kompositionen steckt ein Übermut, der die Wahrnehmung herausfordert und gleichzeitig überfordert. Multiple Verknüpfungen mit bis zu fünf Freiheitsgraden generieren labyrinthische Texturen. Ein Betrachter, der solche Komplexitäten nicht mehr im Detail nachvollziehen kann, wird unweigerlich dazu angeregt, über das Verhältnis von Vorstellungs- vermögen, Abstraktion und sinnlicher Wahrnehmung nachzudenken.
Kunstforum - 5. Okt, 23:39